Ein Beitrag von Lothar Frangenberg zur Ausstellung „Wade Guyton – Das New Yorker Atelier“ in der Sammlung Brandhorst, München, 2017

Schon von der Treppe aus, die zur Ausstellung in das Untergeschoss der Sammlung Brandhorst führt, hat man die Parade der neuen Motive des Künstlers vor Augen. Wie der Titel der Präsentation verrät, handelt es sich um verarbeitete Schnappschüsse aus seinem Atelier in Manhattan. Die Motive haben sich verändert, die Art, wie sie in Bildwerke verwandelt werden, nicht. Guyton wurde neben seinen skulpturalen Objekten und Eingriffen durch die Verwendung abstrahierender, monochromer Zeichen, zum Beispiel einfacher U- und X-Formen oder Quader, die sich zu verspringenden Streifenmustern zusammenfügen, bekannt. Sie bezeugen sein starkes Interesse an konzeptueller, künstlerischer Praxis. Er benutzt als Bildträger traditionelle Leinwand im vertrauten, rechteckig begrenzenden Format handwerklich hergestellter Bilder. Bekannte Formen von Malerei sollte man meinen, aber es sind Ausdrucke, die die Form von Gemälden annehmen. Er lässt die Bildelemente über die Verwendung digitaler Dateien in einem automatisierten Verfahren von Tintenstrahldruckern auf Leinwände übertragen – von Geräten, die in kleinerer Ausführung auf jedem Schreibtisch stehen. Dieses Procedere, bedingt durch die Sperrigkeit des Materials, treibt die Geräte unweigerlich in die Überbeanspruchung. Diese gehört zum künstlerischen Kalkül. Die Druckerköpfe müssen Schwerstarbeit leisten, spucken und verlieren Farben bis zum Auslaufen oder drucken sich immer wieder leer. Der Künstler greift ziehend und zerrend ein, um den oft steckengebliebenen Druckprozess fortzusetzen oder zu beenden. Wolkige Partien, horizontale, teils verblassende Streifen und verrutschte Musterungen sind die Folge. Diese Störungen des Ausdrucks lassen sich wie selbstverständlich als malerische Effekte lesen. Zusätzlich werden die Leinwände, der Breite des Druckers geschuldet, mittig gefaltet und mehrfach bedruckt. So entsteht eine charakteristische, vertikale Zweiteilung der Bilder. Beide Hälften geraten in Versatz zueinander und bleiben zuweilen unvollständig. Die ausgedruckten Zeichen und Formen lassen sich mit dem Bildgrund schwer in Einklang bringen. Sie schieben hin und her, sind zerbrochen oder überlagern sich – so, als ob trotz aller äußeren Grenzen ihre Einheit als Form nicht mehr gewährleistet ist. Sie haben auf diesem Grund wenig Haftung.

Guyton ist der Konzeptkunst nahe, nur vermeidet er strategisch Perfektion und stringente Kohärenz. Seine Formen werden Prozessen des Alltags mit all ihren Fehlerhaftigkeiten ausgesetzt. Man kann diese Verfahren als zufallsbedingt ansehen. Sie sind aber konzeptabhängig und vom Künstler vorgegeben und gesteuert. Der Künstler ist nicht über die eigene Handschrift unmittelbar involviert, nur ist er mehr als der Beobachter der von ihm eingeleiteten Prozeduren. Er ist auch als intuitiv eingreifender und auswählender Akteur und damit als Autor seiner Werke präsent.

Steht der Besucher nun unten im großen, langgestreckten Ausstellungssaal, ist er von den neuen Bildmotiven geradezu umringt – aber in einer unaufgeregten Art und Weise. Man meint zu spüren, dass sich Wade Guyton seine Meriten verdient hat. Als Künstler ist er von Fachleuten nobilitiert und auf dem Kunstmarkt geschätzt. Dementsprechend souverän kommt die Präsentation daher. Die gezeigten Arbeiten stehen mit dem Ausstellungsraum im Einklang. Die gleichgroßen Formate von beachtlicher Größe sind eng und in regelmäßiger Reihung gehängt. An den Saal schließen sich neben Räumen mit zwei Videoprojektionen sechs Kabinette an, in denen die Werke vereinzelter und im Gegenüber präsentiert werden. Als Bindeglied über diese Raumfluchten hinweg dient eine Reihe von Vitrinentischen, die, von einer verdichtenden Zusammenstellung ausgehend, in den Kabinetten ausläuft. Diese Vitrinen sind in einem scheinbar achtlosen Arrangement mit Ausrissen aus Designbüchern oder Kunstkatalogen bestückt, die Guyton durch seine Drucker geschickt hat. Wie in willkürlicher Auswahl aus einer Fülle des Beliebigen werden sie mit digitalen Rastern und Mustern versehen. Die „hungrigen“ Drucker scheinen sich alles einzuverleiben, es geradewegs zu „beschmutzen“.

Der oft romantisierte oder idealisierte Ort künstlerischer Produktion, das Atelier, kommt in diesen Werken unprätentiös und ausschnitthaft daher. Das Auge richtet sich nicht auf den entscheidenden Moment der Arbeit oder die heroische Geste, sondern auf Naheliegendes und Gebräuchliches. Der Blick geht aus dem Atelierfenster auf das One World Trade Center in Manhattan, richtet sich auf die pausierenden Mitarbeiter in der Atelierküche, schwenkt über den Atelierboden, die Wände, Hilfsgeräte und herumstehende Arbeiten. Er fokussiert sich auf den Computerbildschirm mit iPhone Werbung oder Nachrichten der „New York Times“ und durch ihn hindurch bis zu den bildhaft gemachten inneren Strukturen einer Datei. Ein wellenartiges Hinein- und Heraus-Zoomen wird vorgeführt, ein ständiger Perspektivwechsel vom ganz Großen außerhalb des Ateliers bis auf das ganz Kleine im Speicher des Rechners.

Der Künstler unterwirft die Aufnahmen der von ihm bekannten Prozedur über verarbeitende Software und Druckverfahren. Die vertikale Zweiteilung tritt ebenso in Erscheinung wie Verdoppelungen, Verschiebungen und der Versatz der Bildteile zueinander. Nur lässt das Szenische vieler Bilder den konzeptuellen Aspekt zurücktreten, macht sie geschlossener und kompakter, ja teils stimmungshafter in der Wirkung als viele der früheren Arbeiten. Das „Malerische“ tritt deutlicher hervor. Die Farbigkeit der Motive wird einerseits stark kontrastierend übersteuert und verdichtet: Die Aufsicht des Holzbodens wird bis zu abstrakten Farbkaskaden verfremdet, das iPhone auch bis ins Schwarze abgedunkelt. Andererseits bestimmen die horizontalen Streifenmuster – die Wege des Druckers über die Leinwand – zunehmend das Bild, verflüssigen sich, laufen aquarellartig ineinander oder setzen sich prägend in den Vordergrund, während das eigentliche Motiv verblasst und die Farben ausgezehrt wirken. Farbtupfen oder Klekse tauchen wie malerisch gesetzte Akzente auf, Schlieren und Farbnasen erscheinen wie scheinbare Laufspuren schneller Malaktionen. Farbig schimmernde Reflexe leuchten auf, die die Motive weiter ins Malerische verschieben.

Beim Weg durch die Ausstellung wird man immer wieder von der Präsentation im großen Saal angezogen. Er ist der beeindruckendere Teil der Ausstellung. Der über die monumental vergrößerten Schnappschüsse vermittelte, wandernde Blick des Künstlers durch sein Atelier mündet in einer adäquaten Hängung. Die sequentiell wirkende Abfolge wird durch das Wiederholen einzelner Sujets verstärkt. Die mehrfach auftauchenden Motive lassen den Blick des Besuchers ebenso umherschweifen. Eine auffällige Klammer innerhalb dieser Abfolge ist das Abbild einer skulpturalen Arbeit des Künstlers: das aufgebogene Rohrgestell des Cesca-Chairs von Marcel Breuer, einer Design-Ikone. Befreit von Sitzfläche und Rückenlehne reckt es sich als Guytons nachdenklicher und zugleich ironischer Kommentar zur klassischen Moderne aufgebogen, verdoppelt und zerschnitten in den Raum. Die dichte Präsentation im Saal reflektiert die unaufhörliche und mühsame Arbeit der Drucker. Der Künstler als Betreuer der Geräte greift ein und dezimiert den Output auf die für ihn ausstellungswürdigen Ergebnisse. In der vereinzelnden Hängung in den Kabinetten tritt der Eindruck massiver Fülle und der Serialität des Durchspielens zurück. Der eine oder andere „Schnappschuss“ lädt sich anders und stärker auf: Die ästhetischen Reize des attraktiven Fehldrucks, des Nicht-Vollendeten, der reizvollen Arbeits- und Nutzungsspuren, einer Art „Vintage-Look“, scheinen auf.

Aber das Interessante an Wade Guyton ist, dass er sich nicht so einfach vereinnahmen lässt. Welche Fragestellungen legt er uns mit seinem Konzept nahe? Die nach der Aktualität malerischer Konzepte oder dem Ende der Malerei, das schon zu oft beschworen wurde? Diese Fragen sind obsolet geworden. Es ist eher die Frage, inwieweit das Herstellen von Bildern in künstlerischer Absicht zwischen den alltäglichen Bilderfluten noch aktuell und gleichzeitig nachhaltig sein kann. Dass Guyton gezielt „Schnappschüsse“ zur Verarbeitung verwendet, mag darauf hindeuten. Ob die Bildwerke mehr oder weniger handwerklich zustande kommen, spielt keine Rolle: Dafür besteht auch keine historische Notwendigkeit mehr. Seine Arbeiten sind keine genuine „Malerei“. Guyton bewegt sich in der Sphäre des „Malerischen“ und der malerischen Effekte, unabhängig davon, ob man diese als authentisch oder simuliert ansehen möchte. Hier mit Trennschärfe vorgehen zu wollen, führt nicht weiter. Er nutzt den äußeren Rahmen der Ausstellung und das vertraute rechteckige Format samt Leinwand, um den Status der Arbeiten als ausgewählte Bildwerke zu bestätigen. Er ist sicher kein Institutionskritiker, sondern handelt in diesem Umfeld mit großer Selbstverständlichkeit, um als Künstler seine Form eines heute noch möglichen und funktionierenden Bildes vorzuführen. Im Gegensatz zu uns und vielen seiner Kollegen benutzt er die Maschinen nicht wegen ihrer Perfektion, sondern um sie ins Fehlerhafte zu manipulieren. Er grenzt seine schöpferischen Möglichkeiten bewusst ein und delegiert die Umsetzung an Geräte mit einer beschränkten Bandbreite an Effekten. Er behält nur ein gewisses Maß an Kontrolle, künstlerischer Freiheit und Macht. So gelingen ihm seine Arbeiten – und das bei einer geradezu pragmatischen Selbstausbeutung, indem er auch das Abbild seiner Arbeiten wieder Thema von neuen Arbeiten werden lässt.

Guyton geht es nicht um das autonome, authentische Werk, er führt die Abhängigkeiten, Zufälligkeiten und Begrenzungen seiner Produktion vor. Fast alles scheint sich (wieder) verwerten und in Variablen aufbereiten zu lassen. Das künstlerische Bild ist eine Inszenierung, in der unterschiedliche andere, auch nicht mehr ursprüngliche Bilder zusammenfinden, unabhängig von der Frage der Originalität. Guytons Arbeiten spielen dabei trotz aller Offenheit der Deutungsmöglichkeiten mit den heutigen Erwartungen an den Kunstproduzenten, der im Bewusstsein aller Avantgarde-Traditionen weiß, dass er diesen Fragen und dem System „Kunst“ nicht ausweichen kann. Uns als Betrachter lässt er teilnehmen. Wir schauen auf seine Bildwerke, die wie Gemälde daherkommen, um über „Bilder“ und solche „Gemälde“ nachzudenken.