26. May 2007

12.05.07 - 05.10.08 Joe Scanlan: Passing Through
Ausstellung im K21 Kunstsammlung im Ständehaus Düsseldorf

Auszüge aus einem Gespräch zwischen Julian Heynen und Joe Scanlan vom Winter 2006/2007. Der vollständige Text erscheint in: "Joe Scanlan - Passing Through - ", Hrsg. Julian Heynen, K21 Kunstsammlung NRW, Kerber Verlag, Bielefeld 2007.

JH Ich mag Deine Beschreibung des ›eleganten Nihilismus‹, wenn man unter der Kuppel flaniert, weil er heutzutage eine unserer gebräuchlicheren Reaktionen auf politische und soziale Verwerfungen zu sein scheint, ein nachdenklicher Konsumismus, eine Flucht, die schon im Ansatz hoffnungslos, aber dennoch tröstlich ist. Du sagst, Meditation und Schaufensterbummel seien philosophisch entgegengesetzt. Ist es nicht so, dass du grundsätzlich in deinem Werk immer wieder solche scheinbaren oder tatsächlichen Widersprüche untersuchst?
   

JS In der Tat! Das hat seinen Ursprung in der grundlegenden Erkenntnis, dass ich oft nicht weiß, was ich tue, oder in der Folge das, was ich getan habe, ziemlich anders ist als wie ich gedacht habe. Diese grundsätzliche Unsicherheit hat für mich ihre Wurzeln in der Dialektik der Dinge, die ich für Geld, und der Dinge, die ich für die Kunst tue. Ich musste immer Geld verdienen, um zu leben – eine nur allzu geläufige Notwendig- keit - , aber in der Kunst existiert immer noch eine unsichtbare, prophylaktische Trennung zwischen dieser Notwendigkeit und der nobleren Anstrengung, Kunst zu machen. Meine allerersten Arbeiten – die, die mit meinem Apartment zu tun hatten - Extended-wear Underwear, Starter Pot, Bathroom Floor – waren ein Versuch, einen dritten Ort für Kunstwerke zu schaffen, sie an einer Stelle anzusiedeln, an der sie von Ökonomie beeinflusst, aber nicht von ihr erstickt würden. Während also das primäre Motiv für diese Arbeiten ökonomisch war, d. h. Dinge nicht kaufen und deswegen einen Job haben zu müssen, um sie sich leisten zu können, waren sie bis zur Absurdität rational und schließlich mehr poetisch als ökonomisch. Bis heute kann bei mir Ökonomie sehr poetisch und Poesie sehr profitabel sein, ganz gleich, ob ich falsche Forsythien, Nesting Bookcases, künstliche Tränen oder Dreck herstelle. Das geht bis zu dem Punkt, an dem ich mir wegen dieser Unterscheidung keine Sorgen mehr mache; ich arbeite einfach. Ich stelle mir vor, dass dieser Optimismus oder diese Freiheit, wenn wir es so nennen wollen, besonders gut ist für Individuen, die im kleinen Maßstab arbeiten. Dabei denke ich an Agnes Martin, David Hammons oder On Kawara, Künstler, deren Werke in gewisser Weise gleichgültig gegenüber der Frage sind, ob sie als Kunst gelten oder nicht. Eine gewisse Art von Rückzug, ja, von Solipsismus ist allerdings wichtig, um nicht zu wissen oder sich nicht darum zu kümmern, worauf es hinaus- läuft. Wenn man dieses oder jenes Kunstwerk dann ausstellt, hilft es, den Kontrast zwischen der Erzählung von der einzelnen Person und den Erfordernissen einer Galerie, des Kinos oder der Straße zu betonen. Ich bin der Kunstwelt gegenüber per se immer ziemlich ambivalent gewesen, aber in letzter Zeit fasziniert sie mich sehr als ein Platz, an dem Zusammenstöße von Maßstab und Absicht, Geld und Poesie, Kontrolle und Wendigkeit, Konsum und Display aufgeführt werden.
   

JH In einigen früheren Arbeiten hast du die traditionelle kritische Sicht auf das Verhältnis von Ideologie und Kunst bzw. Ökonomie und Kunst neu interpretiert. Ich denke z. B. an dein Remake einer Mike Kelley-Arbeit unter dem Titel Pay For Your Pleasure (reprise), 1998, oder das Projekt einer Zeitschrift mit dem Titel Commerce, 1999, deren erste Ausgabe auf dem Cover wie die Kunst- und Theoriezeitschrift October gestaltet war. Kannst du deine ›optimistische‹ Haltung zur Existenz der Kunst unter den Bedingungen des Kapitalismus etwas genauer erläutern, und zwar auch in Beziehung zu den Anfängen deines Projektes für den Kuppelraum von K21, bei dem die Kunstwerke gegen ihr Display als Konsumgüter ausbalanciert wurden? Was ist für dich der mögliche Vorteil einer solchen (kommerziellen) Präsentation gegenüber der üblichen musealen?
   

JS Ich fürchte, dass ich hierauf eine lange Antwort geben muss, die am Ende womöglich inadäquat ist, aber ich möchte die Frage von Kunst und Kapitalismus so gut wie möglich behandeln, eben weil es so ein heikles Thema ist. Bei einigen der Argumente, die ich vorbringe, fühle ich mich selbst etwas unbehaglich. Im Herzen bin ich ein altmodischer Connaisseur und völlig glücklich damit, einen Richard Deacon oder einen späten DeKooning anzuschauen anstatt über Geld und Politik zu diskutieren. Dennoch ist mir schmerzlich bewusst, dass wir heute in einer anderen Realität leben und ich glaube, dass meine Argumente auch vorgetragen werden sollten, einmal weil ich denke, dass das reine Streben nach Geld häufig die Quelle großen Wissens und großer Schönheit ist, und zum anderen, weil es der vierzigjährigen Geschichte der marxistisch orientierten Institutionellen Kritik eine neue Facette hinzufügt. Denn seien wir mal ehrlich: Die Institutionelle Kritik hat ziemlich wenig dazu beigetragen, die politische Ökonomie der Kunst zu verändern. Ich habe mich immer für das Thema Kunst als Kritik, als Forum für Gegenvorschläge zur Gesellschaft, zum Leben, zu den Konventionen der Kunst engagiert. Aber die Verachtung des Geldes und des Gelderwerbs, sei es als Sozialist, als Dilettant oder als fest angestellter Professor, ist keine brauchbare Durchführung dieser Kritik mehr. Alle unterstellen, dass der Künstler entweder naiv oder gleichgültig der Frage gegenüber ist, woher das Geld kommt – beides sind ziemlich unredliche Ausgangspunkte für die Unterstützung des Marxismus. Ich denke, dass es besser ist, mit dem Kapitalismus umzugehen, indem ich ihn bewohne, indem ich meine eigenen Produkte als mögliche Einkommensquelle erfinde und sie dann in einer Art und Weise zirkulieren lasse, dass sie von Zeit zu Zeit die Kunstwelt passieren – so wie sie es sollten. Einige meiner besten Produkte sind Kunstwerke. Diese Sicht der Dinge hat sich über die Jahre durch eine Konstellation von Einflüssen gebildet. Der erste und älteste ist die Fessel, die die poststrukturalistische Theorie und die Strategie der Appropriation der Kunst auferlegt haben. Auf der einen Seite destabilisierte der Poststrukturalismus die Legitimität kultureller Autorität, indem er alternative Kulturen und alternative Perspektiven aufwertete. Zu fast der gleichen Zeit und im gleichen Atemzug verschaffte die Strategie der Appropriation der Kunst die Lizenz, sich aus dieser Unzahl von Perspektiven etwas herauszupicken und es der Hochkunst zu assimilieren, womit sie die Idee einer höchsten kulturellen Autorität mit gerade den Artefakten wieder in ihr Recht setzt, die sie zuvor herausgefordert hatte. Wer also gewinnt diesen Machtkampf: die Kulturen, die diese kulturellen Artefakte entwerfen, produzieren und zerstören, oder die Kultur, die sie auswählt und konserviert? Um Machiavelli zu paraphrasieren, den ich in Pay For Your Pleasure (reprise) zitiere: Kunst kann die Macht der Konsumgesellschaft nicht anerkennen, ohne sich dieser Macht selbst zu unterwerfen. Die Strategie der Appropriation ist ein verlorenes Spiel. Je mehr Dinge sie in die Kunst hineinschleppt, desto mehr Macht gibt die Kunst ab. Ich möchte für meine Kunst eine Ausstrahlung von Unabhängigkeit und Beweglichkeit, selbst wenn sie sich im Museum befindet. Wenn die Kunst anerkennen muss, dass sie nur ein anderer Teil einer allumfassenden Konsumgesellschaft ist, dann ist ihr einziger Weg zu kultureller Macht, sich in die Gesellschaft einzuklinken. Um noch jemand anderen zu zitieren, der in Pay For Your Pleasure (reprise) auftaucht, nämlich Kim Gordon von Sonic Youth: »In gewisser Weise wurde ich mein ganzes Leben lang dazu erzogen, Kunst zu machen ... Ich habe einfach gespürt, dass ich Musik machen sollte. Mir schien es so, als ob das wirklich der nächste Schritt nach der Pop Art sei, nämlich direkt in eine populäre Form der Kultur einzusteigen anstatt sie zu kommentieren.« Es geht darum, neue Ideen für den Konsum in Umlauf zu bringen. Es geht darum, die Richtung oder den Fluss der politischen Ökonomie der Kunst zu verändern, indem man versucht, Dinge zu machen, die als Kunst beginnen, hinaus in die Welt fließen und ebenso als Kunst im Museum enden können. In mancher Hinsicht finde ich das Unternehmertum dynamischer und ausdauernder als die Kunst. Heutzutage folgt die Kunst mehr oder weniger einem Modezyklus. Selbst der konservativste Anleger von Risikokapital jedoch gibt einer Idee fünf Jahre, um sich auszuzahlen. Auf diese Weise kommt der Kapitalismus dem Risiko und dem Zufall stärker entgegen als die Kunst. Der Kapitalismus nimmt solche Risiken als selbstverständlich auf sich, ja, er betrachtet sie als eine Frage des Überlebens. Das ist es, was Joseph Schumpeter in seiner Analyse der Geschäftszyklen und in seinem Konzept der kreativen Destruktion sagt, die das ziemlich genaue kapitalistische Gegenstück zur Avantgarde darstellt. Kennst du seine Schriften? Er lehrte zwischen den Weltkriegen eine zeitlang gleich hier um die Ecke an der Bonner Universität.

_JH Was besonders überrascht, ist die extreme Variationsbreite der Formen, die der Pavillon auf diese Weise annehmen, und damit auch der Bewegungen, die er machen kann. In die eine Richtung rückt er eher gemächlich vor, Scheibe für Scheibe, in 70-Zentimeter-Schritten. In die andere Richtung ›springt‹ er gleichsam vorwärts, und zwar um jeweils fünf Meter. Aber nicht nur das. Der Pavillon kann eine einfache Box mit geneigten Wänden sein; seine Wände können zu freistehenden Pfeilern mutieren; sein Grundriss kann aufbrechen und ein offener Plan werden, der eine unerwartete Mies’sche Qualität hat. Ich denke, du hast die absolute Zahl der möglichen Variationen noch nicht berechnet, aber sie scheint fast endlos zu sein. Es ist ein wenig so wie bei deinen Nesting Bookcases: Du stellst die Grundstruktur des Objektes zur Verfügung, sein ›Leben‹ aber ist von den individuellen Umständen, den Ideen und Entscheidungen derer abhängig, die es besitzen. Was für Leitlinien wird es für den jeweiligen Umbau des Pavillons im Laufe der 18 Monate des Projektes geben? Wer wird entscheiden, wie er sich bewegen soll?

JS Ich mag die Vorstellung, dass wir mit dem Pavillon ein Alphabet entworfen haben, mit dem die Leute das buchstabieren können, was sie möchten. Ob sie nun die Basiselemente so zusammenfügen, dass etwas Logisches oder etwas Unsinniges entsteht, ist für mich gleichgültig. Ich kann mich über jedes Ergebnis freuen, weil ich darauf vertraue, dass in den Grundeinheiten genug Komplexität steckt, um jede ihrer Kombinationen interessant erscheinen zu lassen. Bei der Frage, wie der Pavillon sich bewegen soll, kann man meiner Meinung nach recht konventionell damit beginnen, dass einige Leute ihn jeweils um eine Scheibe vorrücken, um zu sehen, was dabei herauskommt. Wir wissen ja noch nicht, wie lange es dauert, ihn ab- und wieder aufzubauen oder wie schnell der Pavillon auf seiner Reise durch K21 sich bewegen wird. Selbst wenn es gut funktioniert und er schnell vorwärts kommt, stellt sich noch die subtilere Frage, ob jemand, der ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt sieht, herausfinden kann, was hier vor sich geht. Sollte das aber geschehen, dann stelle ich mir vor, dass die Bewegung des Pavillons stärker darauf reagieren und dynamischer wird. Wie Du schon sagtest, können wir ihn sich um 90 Grad drehen lassen, sodass er einen Sprung macht, anstatt durch den Raum zu schleichen. Es könnte auch wirkungsvoll sein, wenn der Pavillon sozusagen eine Zeitreise macht und sich auf diskontinuierlichen Wegen fortbewegt. An einem Tag ist er in der nordöstlichen Ecke, am nächsten in der südwest- lichen, ohne dass man ihn dazwischen irgendwo gesehen hätte. Ich kann mir auch vorstellen, dass er eine Spur aus kleiner werdenden Teilen hinter sich herzieht während er sich fortbewegt - so wie eine Apollo-Rakete, die ihre Brennstufen verliert. Noch raffinierter wird die Sache jedoch, wenn man sich fragt, wie der Pavillon sich abhängig von dem bewegen soll, was in ihm ausgestellt ist. Wir sprachen davon, einen rollenden Kleiderständer zu besorgen, und ich mag das Bild des Pavillons, der sich mit dem Kleiderständer im Innern schnell vorwärts bewegt, um Schritt zu halten. Und natürlich müsste jeder, der gerade dann den Kleiderständer betrachtet, sich ebenfalls schnell weiterbewegen. Wir sprachen auch schon davon, Kim Soojas Arbeit Bottari aus der Sammlung zu zeigen, die so etwas wie ein großer Tippelbruder-Sack ist; das wäre eine passende Verwirklichung der Idee einer Zeitreise. Wenn wir dagegen ein großes Foto von Candida Höfer oder Thomas Struth zeigen, möchte ich den Pavillon eher für einige Wochen still stellen, um der Stille ihrer Bilder zu entsprechen, aber auch, um meine leichte, temporäre Struktur ihren konkreten Bildern gegenüberzustellen. Diese Variationsmöglichkeiten suggerieren eine Frage, die Buckminster Fuller aufgeworfen haben könnte: Sollte die Dauer von Architektur von der Geschwindigkeit dessen bestimmt sein, was in ihr ist? Ich glaube, meine Lieblingsvorstellung ist der Pavillon, der ein Dickicht falscher Forsythien beherbergt: ein flüchtiges Bild in einer flüchtigen Struktur, und beides bewegt sich vorwärts.