Ein Beitrag zur Ausstellung 'Oscar Tuazon. Alone in an empty room' im Museum Ludwig, Köln, 2014.

von Lothar Frangenberg

Eine schlechte Nachricht vorab: Man muss sich mit dieser ausladenden Treppenanlage, die das Museum im Innern auf der gesamten Breite durchzieht und alle Ausstellungsgeschosse erschließt, auseinandersetzen. Die Treppe, mit ihrer barocken Anmutung mehr verschwendend dekorativ inszeniertes Spektakulum denn Notwendigkeit, steht in auffälligem Kontrast zur äußeren, sachlich biederen Gebäudefigur. Diese erscheint nicht als selbstbewusster Solitär, sondern duckt sich, die Gebäudemassen verschleiernd, als vermittelndes Ensemble zwischen Fluss und Kathedrale. Man steht dem Bau nie greifbar gegenüber, befindet sich immer dazwischen oder darin. Dem Künstler ging es wohl ähnlich, während er sich mit der Situation vor Ort und der Treppe als Bühne für seine Eingriffe beschäftigte. (Museum Ludwig, Veranstaltungsreihe KunstBewusst, Vortrag Oscar Tuazon11. 02. 2014) Er lässt uns treppauf und treppab den Ausstellungsparcours absolvieren, um die Arbeiten in Augenschein nehmen zu können, die sich auf Anhieb erkennbar mit der Architektur vor Ort intensiv auseinandersetzen. 

Sowohl im Untergeschoss als Verlängerung des Treppenlaufs als auch am Entrée vor dem Infoschalter findet man um 90 Grad gedrehte, auf dem Boden liegende „Eingangssituationen“ vor, die man als Startpunkte zur Ausstellung lesen kann. Sie beziehen sich auf das private Wohnumfeld des Künstlers, öffnen aber nichts mehr. Bei der Arbeit „Piece By Piece“ handelt es sich um die Nachbildung des Garagentors an seinem Haus. Ein flaches, begehbares Podest im Untergeschoss vor der Treppe schaffend, sind in rechteckiger Form dunkle Betonelemente und helle Holzplanken ausgelegt. Sie bilden formal Tor und Wandabschnitt in ihren Proportionen abstrahierend nach. „Doors On The Floor“ neben dem Schalter im Erdgeschoss kommt als nicht begehbares, abbildhafteres Relief daher. In einen mit Gips ausgegossenen Metallrahmen sind zwei Reihen von Glasbausteinen eingelassen. Mittig dazu angeordnet gesellt sich ein griffloses, kassettiertes Türblatt. Imitativer in der Wirkung und optisch näher am Original eines Eingangs erscheint es nicht als ausgebreitete, zusammengesetzte Struktur, sondern als Simulation einer Herauslösung. Der zweite Teil der Arbeit, mit dem ersten identisch, taucht im Flurbereich des oberen Stockwerkes neben der Treppe noch einmal als ein möglicher Endpunkt des Parcours auf. Eine weiteres Werk, mit dem Tuazon das Ein- oder Austreten thematisiert, ist der Nachbau der weißlackierten Drehtür im Obergeschoss zur Dachterrasse. Das Double, „A Person“, etwas weniger perfekt als das Original, steht frei, nur von seitlichen Metallgerüsten gehalten, auf der Terrasse und dreht sich, von der Wand befreit und der Schleusenfunktion beraubt, um sich selbst. 

Der Künstler hat der großen Treppe des Museums am Ende ihres oberen Laufes seine kleine private entgegengesetzt. „It´s Beyond Me“ liegt, nicht mehr nutzbar, seitlich auf den Boden gekippt und tritt dem Besucher mit spitzer Form entgegen. Es handelt sich um den Nachbau eines Treppenaufgangs mit zwei Podesten und einem anhängenden, befensterten Außenwandsegment. Unter dem zweiten Treppenlauf entsteht durch das Kippen ein höhlenartiger Binnenraum mit Lampe, der die Proportionen verschiebt, und den Anschein eines privaten, höhlenartigen Restraums vermittelt. Man könnte an Heraustrennungen in der Art der „Cuttings“ von Gordon Matta-Clark denken, aber der bewusst gesetzte Materialwechsel, z.B. die Treppe in Blech auszuführen, eine spürbare Abweichung vom Original, weist unübersehbar auf das Nachbauen und Zusammenfügen hin. Das Objekt entfaltet ein erstaunlich komplexes, skulpturales Eigenleben, das wiederholt den ursprünglichen Kontext vergessen lässt. 

Auf andere Art und Weise transitorisch zeigt sich „A Prosthesis“. Der Künstler baut einen Mauerwinkel im Rohbauzustand aus vermörtelten, hellen Betonsteinen als reduzierte und vereinfachte Nachbildung einer Hausecke seines Domizils auf. Das Dach fehlt, nur die Fensterkonstruktionen mit Sprossen aus weiß lackiertem Holz assoziieren Häuslichkeit. Sie sorgen für einen gleichsam privatisierten Blick in den öffentlichen Raum. Aber nicht nur die Blicke des Besuchers werden neu gelenkt, sondern auch seine Bewegung wird manipuliert. Der Winkel unterteilt den Treppenlauf und engt ihn ein. Obwohl eindeutig kein Haus, evoziert die Skulptur, je nachdem, ob man sich der inneren oder äußeren Ecke nähert, ein tatsächliches Innen oder Außen. Ebenso einprägsam ist der Wechsel der Proportionen, wenn die Wand des längeren Schenkels beim Aufwärtsgehen langsam in der Treppe zu versinken scheint. 

„A Hinge“, einige Meter weiter im Flurbereich an der Wand platziert, ist neben „A Person“ die zweite Arbeit, die sich nicht auf das vom Künstler bewohnte Haus bezieht. Sie ist zwischen zwei schwarz-weißen Wandarbeiten von Louis Lawler, Umrisszeichnungen, die an Ausmalvorlagen denken lassen, angeordnet. (Arbeiten aus der Serie „tracings“) Die Skulptur setzt sich aus sechs Balken mit quadratischem Querschnitt zusammen. Vier davon sind mit Lochplatten zu einem hochrechteckigen, übermannshohen, nach vorne sich windschief neigenden Rahmen zusammengezimmert. Der fünfte dient als Abstandhalter zur Wand. Unter dem Rahmen liegt ein weiterer Balken, der mit ihm massiv verschraubt ist und das Umfallen verhindert – dort, wo auch der möglichen Drehpunkt des Rahmens als Angel oder Scharnier (siehe Titel) sein könnte. Es ist sicher die Arbeit, die am weitesten improvisiert und spontan daherkommt. Ihr provisorisches Zustandekommen wird sehr deutlich thematisiert. Eine leere Proportionsstudie, deren Rahmen auf nichts fokussiert, die sich zwischen Arbeiten von Lawler breit gemacht hat und ihre glatte Perfektion konterkariert. Sie mag als offener, mehrdeutiger Kommentar, ja augenzwinkernder Verweis, auf deren Arbeit sowie Appropriation Art gelesen werden, aber ebenso z.B. auf Carl Andre und Minimal Art.
 Die Ausrichtung des Ausstellungsparcours lässt einen ja vermuten, dass es sich um ein räumlich bewusst angelegtes Konzept mit Start- und Endpunkten handelt. Einen „großen Plan“ als vorbereitendes Instrumentarium vorauszusetzen, hieße aber, Tuazon zu wenig deutungsoffen zu interpretieren, ihm zu viel Absicht zu unterstellen. Es ist einem als Besucher natürlich unbenommen, solch ordnende Parameter anzuwenden. Sie mögen sich für ihn als sinnvoll erweisen. Die Herangehensweise des Künstlers ist seinen eigenen Aussagen entsprechend nur anders gelagert. Seine künstlerischen Strategien, die dem Improvisierten, Unfertigen und Fehlerhaften höchste Bedeutung beimessen, fußen auf intuitiven und widersprüchlichen Prozessen, die das Scheitern einschließen. Im Umgang mit diesen strategisch bewusst in Kauf genommenen Schwierigkeiten genießt das Einfließen des körperlichen Abarbeitens in den Produktionsprozess Vorrang vor Konzeptionellem. In der physischen Präsenz liegt ein großer Teil des Potentials der Arbeiten. Ihnen allen haftet parallel etwas gezielt Defizitäres an. Mit diesem Ungenügen entfaltet sich gerade ihre skulpturale Dimension. 

Auch der Titel der Ausstellung „Alone In An Empty Room“ bezieht sich nicht auf die konkrete Ausstellungssituation vor Ort. Er ist nicht thematisch bindend. Er beruht auf einer wiederkehrenden Grundüberlegung des Künstlers: Der Ausstellungsort ist per Definition ein leerer Raum, den es mit künstlerischen Eingriffen zu besetzen gilt. Der Künstler zieht dort ein und bearbeitet ihn durch seine Interventionen. Sein Interesse gilt dabei der Art und Weise, wie er den Raum formen und verändern kann, nicht im Sinne einer architektonischen Problemlösung – das ist Aufgabe der Architektur selber – ,sondern indem er im Ausprobieren von Modellen und Prototypen neue Probleme erzeugt. Es gilt, das Vorhandene unerwartet zu benutzen, ja anzugreifen und im Umarbeiten neue strukturelle Anforderungen zu stellen. Im Gegenüber zur vorhandenen Architektur werden nicht nur Fragen nach der baulichen Qualität des Raums, sondern auch nach den öffentlichen und privaten Bedingungen dahinter aufgeworfen. Wenn man Raum als strittiges Territorium begreift, wo verschiedene Machtansprüche aufeinandertreffen, so lassen sich Tuazons Interventionen als kritische Auseinandersetzung darüber verstehen, ob und wie Kunst im Ausstellungsraum gelingen kann. 

Er liefert seine Arbeiten nicht fertig ins Museum, sie entstehen hier. Es sind größtenteils zusammengesetzte Bruchstücke anderer Orte, hier aus seinem Wohnumfeld gecoverte „Inseln“ des Privaten. Der Künstler evoziert eine quasi häusliche Sphäre, die mit der über die Museumstreppe ausgedehnten Verteilung gleichzeitig wieder zu implodieren scheint. Entfremdung findet nicht nur mit der Entfunktionalisierung der Raumfragmente statt, sondern auch durch das Ausstellen und Preisgeben an die Öffentlichkeit. Er arbeitet bewusst mit der Aufhebung der Grenzen zwischen den Sphären des Privaten, als unbeobachtetes, geschütztes Terrain, und des Öffentlichen. Zwischen den provozierten Überlagerungen, Schnittmengen und Widersprüchen findet sich der Besucher wieder. Es bleibt ihm überlassen, die möglichen Abstände und Grenzen über seine Projektionen für sich zu definieren. Dieses Spannungsmoment wird am obersten Treppenlauf im Zusammenspiel der Arbeiten „A Prosthesis“ und „It´s Beyond Me“ am deutlichsten. Hier hat die Ausstellung ihren dichtesten Moment. Gerade die letztere Arbeit als Objekt voller Potentialität wechselt im Umrunden permanent ihre Aggregatzustände: vom unbrauchbaren Treppenfragment bis hin zur autonomen Skulptur probehalber und wieder zurück. Sie schafft ihren eigenen „Raum“. Bei anderen Arbeiten, wie „Doors On The Floor“ gelingt das weniger. Sie verharren in einem eher eingefrorenen und domestizierten Zustand. Hier erweist sich der betont repräsentative und sich der Öffentlichkeit zur Schau stellende Ausstellungsort als zu großer und auszehrender Widerpart.


ausstellung

Oscar Tuazon. Alone in an empty room
15.02.14 - 13.07.14,
Museum Ludwig Köln