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Radikal

sind nicht die Bilder als solche, sondern der Ansatz eines Umdenkprozesses, der hinter der Oberfläche möglich erscheint.
Die Freiheitgilt es, umfassend neu zu gestalten, nicht als gesellschaftliche Konvention, sondern für jeden Einzelnen. Es gilt herauszutereten aus den Macht- und Repressionsmechanismen, die eine neoliberale Gesellschaft des „perfekten“ und sich selbst optimierenden Individuums hervorbringt. Die Welt verändert sich rasant. Ihre glänzenden Fassaden verbergen oft genug nur, wie unfertig, fragmentarisch es eigentlich in und um uns bestellt ist. Diese äußere Welt ist durchscheinend.
Man sieht in den Bildern immer auch ein Stück dieser Halbfertigkeit und Brüchigkeit des Moments. Da ist der „Idiot“, der alles sein kann: Narziss, Muslim, Opfer, Täter – man weiß es nicht. Sein Spiegelbild bleibt Gesichtslos, und doch ist sein Anderssein das Moment der Irritation. Den Figuren gemeinsam ist, ihr Innehalten in reflexartigen Handlungen, immer besser zu werden, besser zu sein, die Ressourcen auszubeuten bis zur Selbstaufgabe. Den Luxus der Freiheit, frei zu sein von Notwendigkeiten, denen wir uns selbst repressiv aussetzen, um auf keinen Fall aufzufallen oder um einer elitären Gesellschaft anzugehören, wahrzunehmen. Letztere ist im Konsum jedoch wieder gleichgeschaltet und steht unter dem Zwang sich zu optimieren – ein Teufelskreis? Die Figuren der Bilder versuchen auszubrechen oder verharren, scheinbar eingefroren, um sich in einer abstrakten Welt in Frage zu stellen. In ihrer Verlorenheit greifen sie gesellschaftliche und politische Probleme an mit dem Ziel, diese möglichst umfassend, vollständig und nachhaltig zu lösen. Das ist die ihnen innewohnende Radikalität.
In den unfertigen, zufälligen Zuständen ist für den Betrachter Spielraum, sich selbst wiederzufinden. Die Bilder sind Anstoß, uns unserer Unfreiheit bewusst zu sein, sind Mahnung, in uns zu gehen und die Welt, die aus den Fugen gerät, besser verstehen zu wollen. Sie sind kein dekoratives Beiwerk, sondern kritische Fragesteller zu unserem Hier und Jetzt.
Unsere Existenz ist etwas Fragiles, nichts Selbstverständliches – für den, der unter der Brücke schläft und für den, der im Glaspalast zu Hause ist.

Thomas Lemnitzer
2017